SEXUELLE BELÄSTIGUNG AM ARBEITSPLATZ

Das Gesetz definiert den Tatbestand der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz als jedes vorsätzliche sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt.

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz kann verschiedenste Facetten haben. Die Übergriffe können visuell, verbal oder körperlich sein bzw. die Form sexueller Erpressung annehmen. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gilt als Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts. Da Arbeitgeber die Chancengleichheit am Arbeitsplatz gewähren müssen, sollen sie auch für Vorsorge gegen eine sexuelle Belästigung ihrer Arbeitnehmer sorgen. Wer Opfer einer sexuellen Belästigung wird, hat zunächst das Recht, sich zu beschweren. Der Arbeitgeber muss dann den Sachverhalt prüfen, insbesondere Zeugen anhören. Sodann muss er geeignete Maßnahmen treffen, um die Belästigung für die Zukunft abzustellen. Bei Belästigungen geringerer Art (sexuelle Bemerkungen, etc.) kann eine Abmahnung ausreichend sein. In schwerwiegenderen Fällen kommt eine Umsetzung eines der beiden Arbeitnehmer, evtl. sogar eine Versetzung in ein anderes Haus, in besonderen Fällen sogar eine Kündigung des Belästigers in Betracht. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, jeweils das mildeste noch wirksame Mittel zu ergreifen, darf aber andererseits auch nicht zu wenig tun. Es sind durchaus Fälle denkbar, in denen bei grober wiederholter sexueller Belästigung auch nach der ersten Beschwerde bereits eine fristlose Kündigung gegen den Belästiger ausgesprochen werden kann.

Arbeitsgerichte haben sich immer wieder mit sexuellen Belästigung von Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz zu beschäftigen. Nach einer als als kurios zu bezeichnenden Entscheidung eines Wiener Arbeits- und Sozialgerichts aus den 90er Jahren können angeblich nur attraktive Arbeitnehmerinnen Ziel sexueller Belästigungen sein. Das Gericht hatte über die Klage einer österreichischen Arbeitnehmerin zu befinden, mit der sich diese gegen angebliche sexuelle Übergriffe durch einen Vorgesetzten zur Wehr setzen wollte. Aufgrund des Missverhältnisses zwischen dem Äusseren des Vorgesetzten, eines überdurchschnittlich gut aussehenden gepflegten Mannes, und demjenigen der Klägerin, der nach Auffassung der Richterin (!) jegliche Attraktivität fehle und die auch wenig Wert auf ein gepflegtes Äusseres lege, wurde die Klage als unbegründet abgewiesen, und zwar mit der Begründung, dass es geradezu lebensfremd sei, den Vorwürfen der Arbeitnehmerin Glauben zu schenken. Zum Glück ist die Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte weitaus weniger chauvinistisch. Exemplarisch kann in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 27.09.2006 genannten werden. In diesem Arbeitsechtsverfahren stritten die Parteien über die Wirksamkeit zweier fristloser, hilfsweise fristgemäßer Kündigungen, die der Arbeitgeber gegen den Kläger wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung ausgesprochen hatte. Das Gericht kam zu folgenden Feststellungen:

1. Für die Bewertung einer Handlung als sexuelle Belästigung kommt es nicht auf eine etwaige "Attraktivität" der Betroffenen an. Eine sexuelle Belästigung erhält nicht dadurch weniger Gewicht, dass ein am Verfahren Beteiligter die Betroffene nicht attraktiv und anziehend findet und deshalb deren Empfindung einer Handlung als sexuelle Anmache für abwegig hält.

2. Für die Frage der Bewertung einer Handlung als sexuelle Belästigung ist das Bildungsniveau der betroffenen Person unbeachtlich. Ebenso ist nicht von Bedeutung, ob die Arbeitnehmerin Bild-Leserin ist und manchmal einen burschikosen Umgangsstil zeigt.

Als Fachanwalt für Arbeitsrecht habe ich regelmäßig Fälle zu bearbeiten, in denen gegenüber meinen Mandanten eine sogenannte Verdachtskündigung ausgesprochen wurde. Die Verdachtskündigung bildet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB. Eine Verdachtskündigung ist, so das Bundesarbeitsgericht, "dann zulässig, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen und die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören". Außerdem muss der Arbeitgeber alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen haben, um den Sachverhalt aufzuklären. Insbesondere muss er dem Arbeitnehmer Gelegenheit gegeben haben, Stellung zu nehmen. Dies gilt vor allem bei Sachverhalten, in denen Aussage gegen Aussage steht, etwa in Fällen sexueller Belästigungen. Da in solchen Fällen die Glaubwürdigkeit der Beteiligten den letzten Ausschlag gibt, kommt es hier maßgeblich darauf an, ob das Gesamtbild der Persönlichkeit des Täters es glaubhaft erscheinen lässt, ob er jemanden sexuell belästigt hat oder nicht. Mit einem delikaten Fall dieser Art hatte sich das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gegen Endes des Jahres 2010 zu befassen (Urteil vom 16.12.2010 - 2 Sa 2022/10): Der Kläger war auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrages in einem Krankenhaus beschäftigt. Zu seinem Tätigkeitsgebiet gehörte unter anderem die Begleitung von Patienten auf dem Weg von ihren Krankenzimmern zu den Klinikereichen, in denen Untersuchungen durchgeführt werden. Nach der Durchführung einer solchen Begleitung beschuldigte die vom Kläger begleitete Patientin diesen, sie sexuell belästigt zu haben. Nachdem der Arbeitgeber von den Vorwürfen erfahren hatte, suchten zwei leitende Angestellten der Klinik den Kläger in der Wohnung seiner Freundin auf und konfrontierten ihn mit den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen. Der Besuch beim Kläger war diesem mit dem bewusst wahrheitswidrigen Hinweis angekündigt worden, es gehe darum, dass der Kläger einen außerplanmäßigen Dienst wahrnehmen müsse. Im Anschluss an das Gespräch mit dem Kläger kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos. Der Kläger bestritt den Vorwurf der sexuellen Belästigung und erhob eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Frankfurt (Oder). Das Arbeitsgericht war der Ansicht, dass die Kündigung zu Recht erfolgt sei und wies deshalb die Kündigungsschutzklage ab. Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte der Kläger Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ein, so dass die Richter der 2. Kammer die Rechtmäßigkeit der Kündigungabermals zu prüfen hatten. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschied als Berufungsericht, dass die Kündigung unwirksam ist. Dass der Kläger die sexuelle Belästigung tatsächlich begangen hat, könne der Arbeitgeber nicht nachweisen. Er begründete die Kündigung im Kündigungsschutzverfahren deshalb mit dem Bestehen des dringenden Verdachts, dass der Kläger eine Patientin sexuell belästigt habe. Aufgrund dieses Verdachts sei das für eine weitere Zusammenarbeit erforderliche Vertrauensverhältnis zerstört. Hierzu hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, dass die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen des bloßen Verdachts des Vorliegens einer vom Arbeitnehmer begangenen Pflichtverletzung grundsätzlich möglich sei. Es handele sich in einem solchen Fall um eine sogenannte Verdachtskündigung. Eine Verdachtskündigung sei aber nur dann wirksam, wenn bestimmte von der Rechtsprechung herausgearbeitete Voraussetzungen vorliegen. Insbesondere müsse der „dringende“ Verdacht einer Straftat oder sonstigen Verfehlung vorliegen. Das Gericht bestätigte zwar das Bestehen des Verdachts, dass der Kläger die Patientin sexuell belästigt habe. Die Verdachtsmomente seien aber nicht so stark, dass von einem „dringenden“ Verdacht gesprochen werden könnte. Die Wirksamkeit der Kündigung scheiterte nach Ansicht des Gerichts außerdem daran, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung nicht alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen habe. Das Gericht stellte in diesem Zusammenhang fest, dass der Arbeitgeber zunächst einmal anhand der Arbeitsbücher sorgfältig hätte prüfen müssen, welche Tätigkeiten und Arbeitsgänge der Kläger zur fraglichen Zeit durchgeführt hatte. Dies habe der Arbeitgeber unterlassen. Ferner habe aber auch die Anhörung des Klägers vor Ausspruch der Kündigung nicht den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen genügt. Das Landesarbeitsgericht stellte sich auf den Standpunkt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor der Anhörung einen Hinweis auf die Bedeutung des bevorstehenden Gesprächs hätte geben müssen. Hintergrund ist, dass dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gegeben werden soll, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. In dem zu entscheidenden Fall hatte der Arbeitgeber einen solchen Hinweis nicht gegeben, sondern den Arbeitnehmer sogar über den wahren Inhalt des angekündigten Gesprächs bewusst getäuscht, indem er diesem vorspiegelte, es gehe um einen außerplanmäßigen Arbeitseinsatz.

Radio Eins Live Thorsten Schorn

Anmerkung: Am 02.03.2015 war ich zum Thema "Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz" im 1LIVE Radio zu hören. Ich bin als Experte von Thorsten Schorn interviewt worden. Hat Spaß gemacht!